Friday
12.04.
19:00

Martin Gross „Das Letzte Jahr“ und „Winter in Jakuschevsk“

Dass die „Aufzeichnungen aus einem ungültigen Land“, wie „Das letzte Jahr“ im Untertitel heißt, heute noch Gültigkeit besitzen, liegt dann doch in der einem Kracauer oder Franz Hessel alle Ehre machenden Herangehensweise. (Tobias Lehmkuhl, „Süddeutsche Zeitung“)

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Dass die „Aufzeichnungen aus einem ungültigen Land“, wie „Das letzte Jahr“ im Untertitel heißt, heute noch Gültigkeit besitzen, liegt dann doch in der einem Kracauer oder Franz Hessel alle Ehre machenden Herangehensweise. (Tobias Lehmkuhl, „Süddeutsche Zeitung“)

Geboren 1952 in Calw, studiert Martin Gross in Berlin Germanistik und Politologie, veröffentlicht danach in Zeitungen und Zeitschriften wie taz, zitty, Freibeuter etc. und lässt 1990 seinen ersten Roman „Ferne Nähe“ erscheinen. In diesem Jahr ist Gross bereits nach Dresden übergesiedelt, um die Ereignisse der Wende aus erster Hand und direkter Nähe zu beschreiben. Er geht durch die Stadt, wird Zeuge des Wandels, spricht mit den Menschen darüber – und macht ein Jahr lang Aufzeichnungen darüber, oft täglich, manchmal seltener, aber immer unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse und ohne zu wissen, wie es weitergehen wird. Es ist nicht ‚die‘ große Wende, eher viele kleine Bilder und Situationen, die wir hier erzählt bekommen, Momentaufnahmen des Jahres 1990, oft kleine, beiläufige Dinge, alltägliche Begegnungen, Gespräche über die Hoffnungen und Erwartungen ganz verschiedener Bürger, vom ehemaligen Funktionär bis zum Dissidenten, vom Unternehmer aus dem ‚Westen’ bis zu den neugierigen Jugendlichen. Gross lässt sich vom Zufall treiben, und er hört viel zu: über die Sehnsucht nach Veränderung, aber über die Furcht vor dem Neuen, über Irritationen und Missverständnisse, Orientierungsversuche und Enttäuschungen. Und er wird selbst in seinen Aufzeichnungen sichtbar: mit seinen Schwierigkeiten, eine fremde Vergangenheit zu verstehen, mit dem Zweifel am ‚eigenen‘ System, mit der Frage, ob und von welchem Standpunkt das eigentlich alles berichtet werden kann. So dass am Schluss auch kein großes Buch und eine packende Reportage entstseht, sondern eher so eine Art Mitschrift, die mit großer Beharrlichkeit der vielfältigen und wechselhaften Erfahrung das Wort gibt und aus ihren Schwierigkeiten kein Hehl macht. 1992 unter dem Titel „Das Letzte Jahr“ veröffentlicht, blieb der Text fast unbemerkt, erst fast dreißig Jahre später entdeckte der Verleger Jan Wenzel das Buch und machte sich auf die Suche nach dem Autor, um das Buch schließlich 2020 wieder zu veröffentlichen – und die Leser konnten beeindruckt entdecken, dass die Erfahrungen, die Gross damals zu Papier gebracht hatte, erstaunlich haltbar geblieben waren, während die meisten großen Deutungen von damals längst in Vergessenheit geraten sind.

 

Martin Gross hat weitergeschrieben. In den Jahren nach 1989 viel in Russland tätig, hat er auch dort den Umbruch beobachtet, erlebt, erzählt, der mit dem Ende der Sowjetunion verbunden war. Zwei Romane: „Ein Winter in Jakuschevsk“ und „Nadjas Geschichte“, 2022 und 2023 erschienen, erzählen von diesen Erfahrungen. Auch hier sind es die in den Roman integrierten Tagebuchfragmente, die den Texten eine besondere Intensität und Nähe zu dem geben, von dem sie berichten: von den Erwartungen, Ängsten, Enttäuschungen und Hoffnungen, die die Menschen mit der neuen Gesellschaftsordnung verbinden, von den Begegnungen, die der Protagonist mit ihnen macht, von seiner Schwierigkeit sich zu orientieren und seinem Unwillen ein Urteil zu fällen.

 

Moderation: Daniel Weidner

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Rubriken:
Lesungen und Vorträge
Preis:
8,00 € | 10,00 €
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